Schon immer wollte ich mal auf den Zentralfriedhof in Wien. Um die Atmosphäre zu erleben, aber auch um das Grab des genialen Künstlers Alfred Hrdlicka und seiner Frau Barbara zu besuchen. Ich hatte die Ehre und das Glück, beide persönlich kennenzulernen.
Beim Spaziergang durch den Friedhof habe ich die Ehrengräber gesehen und die Areale der syrisch/-koptischen, der armenisch-apostolischen, der jüdischen, der islamischen und der serbisch-orthodoxen Gräber besucht. Dabei kamen mir viele Gedanken. Hier liegen nun Menschen aus fast allen Nationen und Glaubensrichtungen friedlich und gleich nebeneinander. Geht das nur, wenn Menschen verstorben sind? Traurige Gedanken in dieser Zeit des Wettrüstens…
Auch Ängste um die Zukunft hatte ich dabei. Wie geht es weiter mit dieser Welt? Da erschienen plötzlich Rehe zwischen den Gräbern. Lautlos. Vertrauensvoll. Wunderschön. Eine ältere Dame pflegte ein Grab, während die Rehe ruhig an ihr vorbeizogen. „Kommen Sie nur näher!“, rief sie mir lachend zu. „Die haben keine Angst!“.
Grab auf dem Zentralfriedhof WienYu Jianzhang (1953-2020) Ehrengrab Beethoven Zentralfriedhof WienZentralfriedhof WienEin Reh auf den Gräbern! Ein Wunder…
Als Jugendliche besuchte ich einige Jahre das Internat der französischen Streitkräfte in Deutschland. Dort waren die meisten meiner Schulkameraden Kinder von Militärs. Ich selbst fühlte mich fehl am Platz und war glühende Pazifistin. In meinem Tagebuch 1979 – ich war 18 Jahre alt – erzähle ich viel von meiner Abneigung der Armee gegenüber und von einer Diskussion mit Mitschülern während des Mittagsessens im Speisesaal.
Damals dachte ich, ich würde als Pazifistin sterben. Seit wenigen Tagen bin ich leider nicht mehr davon überzeugt… In einer Welt voller Waffen erscheint mir jetzt die Idee des Pazifismus als Luxus oder unmöglicher Traum…
Hier die Übersetzung meines Tagebuchs – 26. Januar 1979:
„Es ist wieder wegen der Armee. P hat angefangen und F sprach dann vom „idealen Soldaten“, demjenigen, der „die Menschen rettet“, der nur deswegen Soldat wird, um Menschenleben zu retten. Das sei das höchste Ziel im Leben. „Ja glaubst du denn, Soldaten seien da, um Menschen zu retten? Hast du noch nicht verstanden, dass sie da sind, um Menschen zu töten?“.
Da mischte sich M ein: „Wenn wir auf Waffen verzichten würden, würden diese blöden Russen uns angreifen! Ich lache über diejenigen, die keinen Wehrdienst machen wollen. Was machen wir, wenn es einen Krieg gibt und niemand etwas tut?“
„Zuerst einmal sind die Russen nicht blöd, du Idiot“, habe ich geantwortet, „zweitens wäre das umso besser, denn wenn niemand kämpft, weil es keine Armee gibt, gibt es eben auch keinen Krieg mehr!“
Er fing wieder damit an und da habe ich mich aufgeregt und urplötzlich habe ich mich genau gesehen, allein, alleine am Tisch sitzend und umgeben von Fremden, alle so ganz anders als ich! Ich habe mich so aufgeregt, dass ich danach wieder mein „Beruhigungsmittel“ las: Das Buch „L’apprentissage de la sérénité“ („Das Erlernen der Gelassenheit“) von Louis Pauwels.