Heimatgeschichten – „Die entsetzliche Verwilderung der Bauernjugend im Rotthal“

Illustration Heimatgeschichten Raufende junge Bauern im Rottal
Illustration der Heimatgeschichten: Nadia Baumgart

Heimatgeschichte über die „entsetzliche Verwilderung der Bauernjugend“ im Rottal

Gab es bei uns weniger Kriminalität in der „guten alten Zeit“? Eine gute Frage, auf die ein Artikel aus der Straubinger Zeitung vom Jahr 1874 eine eindeutige Antwort gibt: Ein „trauriger“ Zeitungsbeitrag über die Verwahrlosung und „Verwilderung“ der Rottaler Jugend, der darauf hinweist, dass selbst Kinder sich hier unmöglich benehmen. Dass ein frecher Schüler wortwörtlich im Text zitiert wurde, ist – trotz des traurigen Anlasses – doch sehr witzig.

„Trauriges, sehr Trauriges haben wir aus dem Rotthale wieder zu berichtigen, so schreibt ein Correspondent des Kur. f. Ndb. In Birnbach wurde vor kurzem ein Bursche erstochen und in Aigen gelegentlich der kirchlichen Bernardifeierein ein junger Räufer durch 3 Messerstiche lebensgefährlich verwundet.

Der sonstigen Kraftübungen, bei welchen die Schädel tüchtig geklopft, Schlagwunden versetzt, Zähne eingebrochen werden u.s.w., wollen wir gar nicht erwähnen, das gehört ja zur Sonntagsfeier; aber eines Vorkommnisses müssen wir noch gedenken, weil es Zeugniß gibt von der entsetzlichen Verwilderung unserer Bauernjugend. In der Schule zu k. bestrafte der Kooperator einen Werktagsschüler mit 2 Tatzen. Das Büblein war nicht faul, zu schreien: „Leitla, rennata s´messer in d‘ Wampen, daß da s’Satz anahängat!“ zu deutsch: Mit Vergnügen wollte ich dir das Messer in den Bauch stoßen, daß dir die Gedärme heraushingen. Nicht wahr, das sind hoffnungsfrohe Rangen[1], die schon in der Schule Mordpläne hegen! Zu was wird das noch führen?“

Quelle: Straubinger Zeitung. 1874,7/12 ## 20.10.1874


[1] lebhaftes Kind, das aus Übermut gern etwas anstellt (Duden)

Heimatgeschichten – Ein Beweis, dass die Birnbacher und Rottaler edel sind und keineswegs verroht

Illustrierte Heimatgeschichten aus alten Zeitungen

Entkräftung von Vorurteilen gegen die Birnbacher Bevölkerung

Ein neuer Beweis, dass die Birnbacher und Rottaler edel sind und keineswegs verroht

Hier folgt ein im Jahre 1855 verfasster Zeitungsbericht über den Zusammenhalt in der Ortschaft, der erahnen lässt, dass die Einwohner von Birnbach und des Rottals keinen besonders guten Ruf hatten: Anscheinend waren sie wegen ihrer „Rohheit“ berüchtigt! Der Autor nimmt sie jedoch leidenschaftlich in Schutz.

„Von allen Gegenden laufen beständig Nachrichten ein über ausgeübte Akte der Rohheit. Ich aber bin in der Lage, Ihnen etwas Erfreuliches mittheilen zu können und zwar aus dem so oft der Rohheit beschuldigten Rotthale. Unser Pfarrdorf bestätigt auf das Schönste die alte Wahrheit, dass durch vereintes, keine Mühe scheuendes Zusammenwirken, auch in kleineren Orten etwas Großes bezweckt werden kann. Es hat sich in unserem Dorf vor geraumer Zeit ein Verein gebildet, der sich zur lobenswerten Aufgabe macht, bei ausgebrochenen Bränden, so weit seine Kräfte ausreichen, das Rettungs- und Löschgeschäft zu besorgen, bereits 40 Mitglieder zählt und fortwährend im Wachsen begriffen ist. Vor einigen Wochen wurde durch Herrn Auer, Hofwirth, sogar für eine sehr gut gebaute Theaterbühne Sorge getragen und mehrere Mitglieder obigen Vereins haben sich erboten, für die Aufführung gediegener und bildender Schauspiele ihre Kräfte zu leihen. Bereits wurde die Bühne durch Babo’s Schauspiel „die Strelitzen[1]“  eröffnet.“

„Was die Durchführung dieses herrlichen Stückes betrifft, so ist sie nach dem allgemeinen Urtheile wirklich eine sehr gelungene zu nennen. Die Zuschauer verfolgten mit sichtbarem, warmen Interesse Szene für Szene dieses heroischen Stückes und beehrten die Spielenden nach jedem Akte mit einem wahren Beifallssturm. Birnbach beschämt somit manchen größern Ort, in welchem Parteilichkeiten und Standesvorurtheil die Gemüther zerstreuen, anstatt daß Einigkeit sie zu edlen und bildenden Zwecken zusammenführt. Es ist nur zu wünschen, daß diese verdeblichen Faktoren in Birnbach nie Eingang finden und daß sämmtliche Bewohner, im warmen Interesse für die gute und schöne Sache, solchen aufopfernden Kräften stets ihre Zuneigung bewahren möchten. Dann dürfen wir stolz sein auf unser Dorf, denn es liefert einen neuen Beweis für die Nichtigkeit der Beschuldigung mancher Menschen, wenn sie das Rotthal nur als die Heimath der Rohheit bezeichnen.“

Mein Kommentar: Interessant finde ich, dass der Verfasser den Ruf seines „Pfarrdorfes“ gegen „manche Menschen“, die Standesvorurteile zu haben scheinen, verteidigen möchte. Da diese Menschen nicht nur die Birnbacher, sondern gar alle Rottaler der „Rohheit“ beschuldigen, sind hiermit wahrscheinlich Personen gemeint, die in etwas entfernteren Gegenden wohnen, möglicherweise „gebildete“ Bewohner von größeren Städten aus dem weiteren Umkreis.

Quelle: Katholisches Sonntagsblatt vom 21.01.1855


[1] Das erwähnte Bühnenstück „Die Strelitzen“ ist ein heroisches Schauspiel in vier Aufzügen, das auf einer wahren russischen Begebenheit basiert.  Der Autor war der Schriftsteller Joseph Marius Franz von Babo, der 1756 in Ehrenbreitstein geboren und 1822 in München verstorben ist. Das Drama thematisiert Heldentum, Loyalität und Konflikte zwischen Pflicht und persönlichen Überzeugungen.

Heimatgeschichten – Schwierige Schicksale

Ein gehörloser junger Mann im 19. Jahrhundert

Vor einiger Zeit hatte ich angefangen, in digitalisierten Zeitungsarchiven nach „Heimatgeschichten“ zu suchen, in denen Birnbach vorkommt, diese mit Kommentaren zu versehen und zu illustrieren. Nach den Themen „Bahnverspätung 1901“ und „Eine lokale Kriminalgeschichte aus fernen Zeiten – 1847“ möchte ich heute eine Meldung des Königlich-bayerischen Kreis-Amtsblatt der Oberpfalz und von Regensburg vom 11.05.1872 näher betrachten.

Hier geht es um einen taubstummen jungen Mann, der in Birnbach aufgegriffen wurde. Dank der Beschreibung können wir die Person regelrecht „sehen“, als würde sie vor uns stehen. Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff „Taubstummheit“ und das Wort „taubstumm“ heute aufgrund der historischen Diskriminierung Gehörloser als veraltet gelten. Ein wertneutraler Begriff im deutschsprachigen Raum ist „gehörlos“.

Im Königlich-Bayerischen Kreis-Amtsblatt erschien also am 11. Mai 1872 folgende Meldung:

„Am 3. April 1872 wurde in Birnbach, Bezirksamt Grießbach, die unten näher beschriebene Mannsperson wegen Bettels aufgegriffen, welche teubstumm ist und sich in keiner Weise verständlich machen kann. Die bisher gepflogenen Heimaths-Recherchen waren erfolglos. Die obengenannten Behörden werden beauftragt, nach Namen, Stand und Heimath der fraglichen Person geeignet Nachforschungen einzuleiten und ein sachdienliches Ergebniß sofort dem k. Bezirksamt Griesbach mitzutheilen.

Regensburg den 2. Mai 1872.

Königl. Regierung der Oberpfalz und von Regensburg, Kammer des Innern. Von Pracher, Präsident.

Signalement: Alter: 22-23 Jahre alt, Größe: 5‘ 10‘‘, Haare braun. Stirne nieder, Nase breit, Mund geregelt, Kinn spitzig. Bart blond (kleiner Anflug), Zähne gut. Besondere Kennzeichen: ohne.

Kleidung: Alten grauen Hut, einen leinenen alten Spenser[1] mit gelb gedruckten Blümchen versehen schon ziemlich stark mit wollenen Flecken geflickt und mit gelb messingenen und schwarzbeinenen Knöpfen besetzt; eine alte, blaue, rupferne Hose, schon stark geflickt; eine alte, wollene Weste, lange, alte, zerrissene Wadenstiefel, Hemd keines.“

Diese genaue Personenbeschreibung hilft, sich diesen Menschen vorzustellen. Aber es keimen auch viele Fragen auf. War der bettelnde junge Mann der Sohn eines Tagelöhners, eines Handwerkers oder eines Bauern? War er mit dem Gesetz in Konflikt geraten? Und wie sah eigentlich die Lebenssituation der Gehörlosen in dieser Zeit aus?

Zwar waren „Taubstumme“ die erste Behindertengruppe in Bayern, denen eine spezielle Förderung zuteil wurde. Seit 1817 sollte jede bayerische Kreishauptstadt über eine Taubstummenanstalt verfügen und es gab längst Taubstummen-Vereine. Allerdings sah die Situation auf dem Lande ganz anders aus. Immer wieder wurden in den Amtsblättern „unbekannte Taubstumme“ gesucht, nämlich nicht identifizierbare gehörlose Landstreicher und Bettler.

„Demgegenüber stehen „unbekannte Taubstumme“ (S. 124–143), zu denen gehörlose Landstreicher und Bettler gehörten, deren Identitätsfeststellung nach einer Verhaftung in Bayern nicht glückte.“ (Quelle: H-Soz-Kult – Fachinformationsangebote des Vereins Clio-online – Historisches Fachinformationssystem e.V.)

Man kann sich vorstellen, dass der beschriebene junge Mann kein leichtes Leben hatte. Wie es mit ihm weiterging, darauf gibt es keine Hinweise.

Dafür findet sich eine Mitteilung über einen weiteren „Taubstummen“ in Birnbach in einem etwas früheren Artikel des Königlich-Bayerisches Kreis-Amtsblatts von Oberbayern vom 4. Juli 1868. Hier geht es um ein gehörloses Kind:

„Einen in Birnbach aufgegriffenen taubstummen Knaben betreffend.

Da die von der unterfertigten Stelle unterm 6. August 1867 angeordneten Recherchen bemerkten Betreffs […] bisher erfolglos geblieben sind, so werden die sämtlichen Distriktpolizeibehörden angewiesen, die Nachforschungen nach der Herkunft des dort beschriebenen Knaben neuerdings aufzunehmen, sorgfältig zu verfolgen und die etwaigen Ergebnisse dem Bezirksgerichte Griesbach mitzutheilen.“

Hier habe ich mich gefragt, ob dieses Kind vielleicht sogar von seinen Eltern ausgesetzt worden war. Möglicherweise war es gar ein Waisenkind.


[1] Als Spenzer wird eine eng anliegende, taillenkurze Jacke für Damen und Herren bezeichnet. In früheren Epochen und noch heute bei Trachten wird der Begriff auch allgemein für Jacken verwendet. (Quelle: Wikipedia)

Quellen:

Königlich-bayerisches Kreis-Amtsblatt der Oberpfalz und von Regensburg (Königlich bayerisches Intelligenzblatt für die Oberpfalz und von Regensburg) 11.05.1872

Königlich-bayerisches Kreis-Amtsblatt von Oberbayern vom 4. Juli 1868

Bahnverspätung 1901 – Alte Geschichten aus dem Rottal

Illustration: Nadia Baumgart

Und wieder eine lustige alte Geschichte aus dem Rottal. Diesmal ist die Informationsquelle das Rosenheimer Tagblatt vom Jahr 1901. Ich habe sie mit einem Schmunzeln illustriert.

In unseren Zeiten, in denen die Bahn ständig Verspätung hat, eine besonders witzige lokale Geschichte, finde ich.

Ein Reisender berichtet humorvoll in der Zeitung, dass er am 16. Juli 1901 morgens mit der Bahn von Pfarrkirchen nach Birnbach fahren wollte. Hier seine Worte:

„Der diensthabende Beamte gab das Zeichen zur Abfahrt. Die Lokomotive pfiff – doch was ist das? Der Zug bewegt sich nicht. Alle Reisenden rannten an die Fenster, um zu sehen, was es gebe. Doch jetzt geht es ja, aber in einem Tempo, als ob den Zug, welcher zwölf Wagen lang war, ein Ochse wegziehen müsste und so ging es gemütlich 500 Meter von der Station Pfarrkirchen weg.

Alle Reisenden waren begierig, den Grund der langsamen Fahrerei zu erfahren. Doch siehe – da kommt aus der Stadt auf der Triftener Landstraße gemütlich der Heizer des Zuges mit zwei Maß Bier daher. Jetzt war das Rätsel gelöst. Der Heizer lief vor Abgang des Zuges in die Brauerei Gässl in Pfarrkirchen, holte sich zwei Maß Bier und erst, als er mit dem edlen Nass auf dem Tender stand, ging es mit Volldampf davon.

Der Heizer hatte allerdings höchste Zeit, um noch mitzukommen, da sich bereits mehrere spaßhafte Reisende daran machten, den Zug mit eigener Kraft in rascheren Gang zu bringen, um dann mit Schnellzugsgeschwindigkeit, wie sie die Sekundärbahn nun schon einmal besitzt, dem inneren Rottale zugeführt zu werden.“

Quelle: Rosenheimer Tagblatt ; Tageszeitung für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ; offizielles Amts- und Nachrichtenblatt für alle Behörden. 1901 = Jg. 31, 16. Februar-31. Dezember

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