Der Nationalpark Bayerischer Wald ist ein unglaublich schönes Gebiet. Wer es durchwandert, spürt die Ruhe, die Kraft der alten Bäume, das Rauschen der Bäche und das Trommeln der Spechte.
Für mich ist dieser Wald ein Geschenk – mystisch, beruhigend, ergreifend. Schönheit ist hier nicht Nebensache, sondern Orientierung. Dostojewski soll gesagt haben: „Schönheit wird die Welt retten.“ Ich hoffe darauf. Und ich stelle mir Fragen.
EN: The Bavarian Forest National Park is a place of deep beauty and tranquility, yet its management raises questions about ecological authenticity and biodiversity. I advocate for more open landscapes, the return of red deer, and grazing practices that reflect historical ecosystems, challenging rigid conservation models.

Warum kein freies Rotwild?
Doch gerade weil ich diesen Ort liebe, wünsche ich mir, dass wir offen über ihn reden dürfen. Das Leitbild „Natur Natur sein lassen“ ist großartig – aber wird es wirklich konsequent umgesetzt? Rotwild wird nicht geduldet, aus Angst vor Verbiss, also vor dem Schaden, der durch das Fressen junger Pflanzen und Triebe durch Wildtiere entsteht. Dabei gehört Rotwild zur natürlichen Fauna. Wenn wir es ausschließen, setzen wir einfach verbissen ein Verwaltungsmodell um. Auch die Vorstellung, dass ein dichter, dunkler Wald besonders „natürlich“ sei, wird inzwischen hinterfragt. Wenn ich große Flächen Totholz aufgrund von Borkenkäferbefall sehe, frage ich mich auch, inwiefern da ein Reh oder Rotwild durch Verbiss noch schaden kann. Hinzu kommt, dass Wälder in Europa vor einigen Tausend Jahren wohl kaum dicht und dunkel waren. Im Gegenteil!
Der Biologe und Filmemacher Jan Haft schreibt in seinem Buch Wildnis:
„Von den in Europa heimischen Tier- und Pflanzenarten sind die meisten nicht an Wälder, sondern an offene Landschaften angepasst. […] Erhalten blieben diese dadurch, dass große Pflanzenfresser wie Mammuts und Auerochsen die Flächen beweideten und so dafür sorgten, dass sie nicht zuwuchsen.“
Diese Aussage trifft einen wunden Punkt. In Ausstellungen des Nationalparks Bayerischer Wald wird etwa das Birkhuhn gezeigt – ein Tier, das offene, lichte Hochlagen braucht, nicht dunkle Fichtenwälder. Im Nationalpark Šumava wurden gezielt Bäume entfernt, um solche Offenflächen zu schaffen. Das Birkhuhn benötigt nämlich Moor- und Heidelandschaften mit niedriger Vegetation, freien Balzplätzen und guter Deckung. Šumava macht es vor.

Mehr Artenvielfalt auf offeneren Flächen?
Auch bei Wanderungen spürt man den Unterschied: Kaum überschreitet man die Grenze nach Šumava, hört man mehr Vögel, sieht mehr Schmetterlinge. Die Wälder sind dort offener, strukturreicher, lebendiger. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis gezielter Landschaftspflege.
Warum keine Rinder auf den Schachten?
Ein weiteres Beispiel sind die Schachten – waldfreie Bergwiesen, die früher als Weideflächen dienten. Heute werden sie im Bayerischen Wald kaum noch beweidet. Ehrenamtliche versuchen, die Flächen durch manuelle Pflege offen zu halten, doch Rinder würden diese Arbeit viel besser leisten. Laut einer Naturschutzbroschüre dürfen nur noch zwei Schachten beweidet werden („Wenn Rotes Höhenvieh auf zwei Schachten grast“, Eintrag Nr. 37/2023). Im Nationalpark Šumava hingegen wird Beweidung gezielt eingesetzt, um Artenvielfalt zu fördern und Kulturlandschaften zu erhalten (Laufener Seminarbeiträge 1/02, S. 59–65).

Natürlich gibt es auch in Šumava Spannungsfelder. Die rasche bauliche Entwicklung mancher Touristenzentren sehe ich mit Skepsis. Und die Direktoren der tschechischen Nationalparks warnen vor politischen Versuchen, das Naturschutzgesetz zu schwächen (Interview mit Pavel Hubený, Mai 2025). Auch im Bayerischen Wald gibt es Kritik: Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) sprach 2024 von einem Tabubruch, als Flächen aus der Kernzone zur Borkenkäferbekämpfung in die Managementzone verschoben wurden.


Trotz allem: Ich finde es wunderbar, dass im Bayerischen Wald in der Kernzone keine forstwirtschaftliche Nutzung stattfindet und der Naturschutz im Vordergrund steht. Das ist sehr wertvoll. Aber ich wünsche mir, dass wir bereit wären für Rotwild, für lichte Landschaften, für Vielfalt und Anpassung von Konzepten und Modellen an neue Erkenntnisse.
Denn das, was wir heute als „natürlich“ definieren, ist immer auch von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Sehnsüchten geprägt.

Zusammenfassung: Der Nationalpark Bayerischer Wald ist ein Ort von tiefer Schönheit und Ruhe, doch seine Verwaltung wirft Fragen zur ökologischen Authentizität und Artenvielfalt auf. Ich plädiere für offenere Landschaften, die Rückkehr des Rotwilds und eine Beweidung, die historische Ökosysteme widerspiegelt – und stellt damit starre Naturschutzmodelle infrage.
FR: Le parc national de la forêt bavaroise est un lieu d’une beauté profonde et apaisante, mais sa gestion soulève des questions sur l’authenticité écologique et la biodiversité. L’auteur plaide pour des paysages plus ouverts, le retour du cerf élaphe et des pratiques de pâturage qui reflètent les écosystèmes historiques, en remettant en question les modèles de conservation trop rigides.
Hier noch Infos zum Borkenkäfer – Zur Geschichte des Borkenkäfers im Böhmerwald und Bayerischen Wald
Hier noch ein Video über unseren Besuch des „Haus zur Wildnis“ im Nationalparkzentrum: