Das sterbende Forsthaus – Geschichten aus dem Böhmerwald

Detailaufnahme des verfallenen Forsthauses im Wald mit Graffiti an den Wänden und dichtem Grün im Vordergrund.
Seit kurzem verzieren Graffitis die Ruine

Ich liebe dieses Forsthaus im Wald.
An der Geschichte eines Gebäudes lässt sich manchmal die Geschichte einer ganzen Gegend ablesen. Die Mauern, die langsam zusammenfallen und zerbröseln, erinnern an die alternde Haut eines sehr betagten Menschen. Inzwischen zieren moderne „Tattoos“ – Graffitis – die alte Haut des sterbenden Hauses.

Eine Person mit einem Rucksack geht auf ein altes, verwittertes Forsthaus im Wald zu, umgeben von hohem Gras und Büschen.
The Story of an Old Forester’s House in the Bohemian Forest

Als wir vor einigen Jahren zum ersten Mal hier waren, dachte ich, es sei noch zu retten. Inzwischen beobachte ich den Verfall mit einer Mischung aus Trauer, Bedauern und Akzeptanz – schließlich können wir nicht alles festhalten.

Die Besitzerin, die das Haus geerbt hat, lebt in den USA und hat vermutlich andere Prioritäten. Manchmal denke ich, dass es besser ist, wenn das Haus „verwest“ – so poetisch und organisch –, als wenn es von der Freizeitindustrie abgerissen und als Pension mit Café und überdimensioniertem Parkplatz neu aufgebaut wird, wie wir es leider allzu oft erleben.

Aus Liebe zu diesem verzauberten Ort möchte ich noch einmal zusammenfassen, was über ihn zu erfahren ist:

Eine Wasserfarbe zeigt einen Jungen auf einem Pferd, eine Frau, die ein Kind begleitet, und eine weitere Szene mit Kindern und Tieren im Garten vor einem weißen Forsthaus in einer idyllischen Landschaft.
Mein Aquarell stellt das Leben des Arztes mit Frau und Kind im Forsthaus in der Einöde dar

Das imposante Gebäude im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet wurde im 19. Jahrhundert errichtet. Es gehörte einst dem Bankier František Hasek, der 1942 von den Nationalsozialisten in Prag hingerichtet wurde. Vermutlich hatte er das Haus als Rückzugsort erbaut. In der Nähe befand sich ein kleines Glashüttendorf, dessen deutschsprachige Bevölkerung nach dem Krieg vertrieben wurde.

Das verfallene Forsthaus im Wald, umgeben von dichtem Grün und sichtbaren Graffiti auf den Mauern, zeigt die Spuren seiner Geschichte und des Verfalls.
Asche zu Asche…

Danach verfiel das Haus. Einmal schlug sogar der Blitz ein – es schien bereits damals dem Untergang geweiht. Doch dann rettete der Arzt MUDr. Zdeněk Kostrouch das Anwesen, in das er 1964 einzog:

„Über seine erste Begegnung mit Pustina sagte der Arzt: ‚In den fünfziger Jahren fuhr ich von Hartmanice nach Kašperské Hory und sah im Rückspiegel eine Rauchsäule. Einmal blitzte es – und es war vorbei. Danach wucherte Pustina mit Brennnesseln zu. Im Frühjahr 1964 sollte sie abgerissen werden, da sie im militärischen Sperrgebiet Dobrá Voda lag. Dank meiner Kontakte konnte ich die Entscheidung zur Demolierung stoppen und zog selbst dort ein.‘“

Kostrouch richtete auf Pustina einen landwirtschaftlichen Betrieb ein, organisierte eine Bibliothek und stattete eines der Zimmer mit antiken Möbeln aus. Da die Fahrt zur Praxis in Hartmanice – besonders im Winter – sehr problematisch war, besaß Doktor Kostrouch Pferde, mit denen er auch Patienten besuchte. „Die Einöde wucherte danach mit Brennnesseln zu. Im Frühjahr 1964 sollte sie abgerissen werden, da sie im militärischen Sperrgebiet Dobrá Voda lag. Dank meiner Kontakte konnte ich den Abriss stoppen und zog selbst dort ein.“

Quelle: sumava.cz

Ein charmantes Forsthaus im Wald, umgeben von grünen Wiesen und Bäumen, mit einer charakteristischen roten Fassade und einem schiefergedeckten Dach.
Ich habe eine Künstliche Intelligenz gebeten, das Haus in seinen „Urzustand“ zurückzuversetzen. Dieses Bild kam dabei heraus. Es erscheint mir etwas zu „perfekt“, gibt aber einen Eindruck von der Pracht des Gebäudes.

Beschreibung des Gebäudes: Es handelt sich um ein herrschaftlich anmutendes Forsthaus mit Krüppelwalmdach, weißen Säulen, einer Veranda und einem kleinen Holzbalkon im Giebel des Obergeschosses. Die Fassade aus Holzschindeln, die hölzernen Verzierungen und dekorativen Elemente auf der Veranda spiegeln die handwerkliche Tradition der Region wider.

Hier mein letzter Beitrag darüber: Der Arzt auf dem Pferd

EN: The old forester’s house in the Bohemian Forest, through its decay and its history, tells much about the turbulent past of the region—from displacement and war to personal rescue and remembrance. Once a retreat for a Jewish banker and later the workplace of the legendary “doctor on horseback,” it was lovingly inhabited for decades before being abandoned once more. Today, it stands as an enchanted place between nature and history, threatened by oblivion.

Moderne Steinzeit – Ein Besuch in der archäologischen Staatssammlung in München

A visitor observes an ancient stone sculpture in a modern museum setting, with focused lighting highlighting the artwork.
Auge in Auge mit der Vergangenheit

Wer an eine archäologische Sammlung denkt, hat oft verstaubte Knochen, Faustkeile und vielleicht noch antike Münzen vor Augen. Doch die Archäologische Staatssammlung, die 2024 neu eröffnet wurde, überrascht mit einer modernen Präsentation und einer beeindruckenden Themenvielfalt. Schon beim Betreten nimmt sie die Besucher mit auf eine Zeitreise – von Millionen Jahren Vergangenheit bis in unsere Gegenwart. 

Die schiere Menge an Objekten lädt dazu ein, in vergangene Welten einzutauchen, die uns noch heute berühren. Ein besonders faszinierendes Detail: Man kann buchstäblich über die Vergangenheit laufen! Fundstücke liegen unter Panzerglas und ermöglichen es den Besuchern, Geschichte unter ihren eigenen Füßen zu entdecken.

Eingang zur Archäologischen Staatssammlung mit Außensitzbereichen, Sonnenschirmen und einem Informationsschild.
Die Staatssammlung liegt direkt am Englischen Garten

Zusätzliche Informationen lassen sich per Barcode abrufen, ergänzt durch zeitgemäße Illustrationen und Comics des Künstlers Frank Schmolke.

Die Sammlung folgt nicht dem klassischen chronologischen Konzept, sondern orientiert sich an thematischen Schwerpunkten, die bis heute relevant sind: Selbstdarstellung, Werte, religiöse Symbole und Rohstoffe –Themen, die sich durch alle Epochen ziehen. 

Besonders berührend fand ich eine ägyptische Kindertunika aus Wolle und Leinen, die 1600 Jahre überdauert hat. Ein eindrucksvolles Exponat, das d als Inspiration für zeitgenössische Modedesigner dienen könnte. 

Toll ist auch, dass das Museum direkt am Englischen Garten liegt.

Eine ägyptische Kindertunika aus Wolle und Leinen, die unter Panzerglas ausgestellt ist, zeigt kunstvolle Verzierungen und ist über 1600 Jahre alt.
Kindertunika aus Ägypten für ein 5jähriges Mädchen – 4 Jh. n. Chr.
Tafel mit Informationen zur Identität von Menschen, umgeben von Illustrationen und grafischen Elementen, die Aspekte der Archäologie und ethnischen Herkunft darstellen.
Identität – Archäologie
Ausstellung von archäologischen Objekten in Vitrinen, mit thematischer Präsentation durch Comics im Hintergrund.
Illustrationen von Frank Schmolke
Eine Karte von Europa, die antike Städte und bedeutende Siedlungen mit schwarzen Punkten darstellt.
Keltische Oppida in Europa – alle auf einen Blick
Inscription on a metallic tablet displayed in a museum, showcasing ancient Roman writing.
Bürgerrechtsurkunde für einen Soldaten in der Römischen Kaiserzeit – Lkr. Traunstein – ausgestellt am 15. Juni 64 n.Chr. Die Urkunde dokumentiert die Verleihung des Römischen Bürgerrechts an den Reiterveteranen Cattaus einschließlich Frau und Kinder als Belohnung für 25 Jahre Dienst.
Eine ägyptische Mumie in einem Glasvitrin, die eine Holzkiste und einen schädelähnlichen Kopf zeigt, umgeben von einem neutralen Hintergrund.
Die „Frau von Peiting“, eine Moorleiche aus dem Mittelalter

Im Video:

Emotional und digital

 

Heimatkundekreis Bad Birnbach

Im Archiv des Bistums Passau mit dem Heimatkundekreis Bad Birnbach

Visit to the archive of the diocese Passau – so much artisan craftwork in wonderful books!

Ausflug des Heimatkundekreises Bad Birnbach zum Archiv des Bistums Passau

Gestern habe ich an einer Archivbesichtigung teilgenommen. Eine Archivbesichtigung? Da kommen einem schnell Assoziationen: Verstaubte Kisten, modriger Kellergeruch, vergrabenes Wissen, das keinen mehr interessiert außer Spezialisten, die stumm und mit behandschuhter Hand in vergilbten Seiten blättern.

 

Ganz anders erging es den 20 Teilnehmern im Büro der Archivdirektorin Prof. Dr. Hannelore Putz, die auch die Führung übernahm. Im hellen Raum, unter der wunderschönen Decke mit barockem Lurago-Stuck, gehen schwere Bücher von Hand zu Hand. Man streichelt samtiges Pergament und bewundert die teilweise auf Papyrus dicht gedrängten Schriften, die Tintenfarbe, Malereien, Miniaturen, Aquarelle, gemalte Wappen und andere kleine Kunstwerke. Im wahrsten Sinne des Wortes eine anschauliche Sache.

Künstlerisch und handwerklich wertvolle Stücke, aber auch vom Gebrauch abgenutzte Messbücher mit hübschen Schnallen und historische Fotografien reicht man sich weiter, fasst an, kommentiert…

Das Archiv, das 1209 zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde, betreut die schriftliche Hinterlassenschaft der Bischöfe. Das im Jahr 2016 eröffnete neue Archiv beinhaltet dagegen das Schriftgut der Pfarreien.

DSC01145

Damit wären wir auch bei einem zentralen Thema der Führung: alt und neu, Vergangenheit und Zukunft sind auch architektonisch sichtbar. Wirkt das Stammhaus des Archivs in der Luragogasse 4 am Domplatz noch verspielt und barock, erscheint das im Jahr 2016 eröffnete Außenmagazin in Passau-Hacklberg absolut zeitgenössisch.

Aber auch die Aufbewahrungsart des alten Wissens nimmt neue Formen an: Pergament, Papyrus und Tinte weichen zunehmend der Aufbewahrung in digitaler Form.

Zunächst erklärte die Archivdirektorin die Hauptaufgaben des Archives:
Diese bestehen nicht nur darin, das schriftliche Gut im Bistum Passau mit all seinen Pfarreien zu schützen und zu bewahren, sondern auch historische Forschung (in diesem Fall z. B. den Inhalt der Birnbacher Heimathefte), Familienforschung zu unterstützen und auch rechtssichernde Informationen weiterzugeben, wie zum Beispiel die Bestimmung von Grenzen der Kirchengrundstücke.

„Wir verstehen unseren Auftrag aber auch so, dass wir das Archiv sichtbar und erfahrbar machen“, lächelt Prof. Dr. Hannelore Putz. Die Experten mit den weißen Handschuhen erscheinen wohl eher in Krimis. Denn heute geht es darum, historische Quellen barrierefrei und kostenfrei für jedermann zugänglich zu machen.

Taufbücher, Sterbebücher, Heiratsbücher, Pfarrbriefe geben einen detaillierten Einblick in das Leben vergangener Zeiten. Aber auch die „Österlichen Seelenbeschreibungen“, in denen nicht nur alle Personen, Kleinkinder inbegriffen, in jedem Haushalt aufgezählt werden, sondern auch so mancher Kommentar des Pfarrers vermerkt ist, sind eine „wunderbare Quelle, um zu verstehen, wie ein Ort so tickt“.

5-Archiv-Bistum-Passau-Foto-Nadia-Baumgart

Um zu veranschaulichen, wie offen das Archiv für alle ist, erzählt die Direktorin von einem Ehepaar aus Australien mit Vorfahren aus Passau, das mit dem Kreuzfahrtschiff in Passau anlegte. Vorab hatten die Australier im Online-Archiv nach Verwandten gesucht und sich nun auf Spurensuche in die Luragogasse begeben, wo ihnen geholfen werden konnte.

Inzwischen muss man sich allerdings nicht mehr unbedingt in das Archiv begeben, um Informationen zu erhalten, denn die Digitalisierung schreitet fortwährend voran. Abgesehen von neuen EDV-Programmen, die auch alte Schriften, welche heutzutage nur noch wenige Experten entziffern können, automatisiert lesen und erkennen können, gewährt zum Beispiel „Matricula“, das Online-Portal für Kirchenbücher einen innovativen, service-orientierten Zugang zu historischen Quellen.

Manch einer mag den mit der fortschreitenden Digitalisierung drohenden Verlust des haptischen Aspekts bedauern, andererseits wird dadurch ein schneller Zugang zu den Informationsquellen von überall auf der Welt möglich.

Um die Philosophin Hannah Ahrendt zu zitieren: „Wirklichkeit und Verlässlichkeit der Welt beruhen darauf, dass die uns umgebenden Dinge eine größere Dauerhaftigkeit haben als die Tätigkeit, die sie hervorbrachte, und dass diese Dauerhaftigkeit sogar das Leben ihrer Erzeuger überdauern kann.“ Zu diesen uns umgebenden Dingen gehören eben auch „geschriebene Seiten“ und Bücher, die man anfassen kann.

Und doch unterliegt nicht nur unsere Welt, sondern auch unser Verständnis von Heimat und Geschichte kontinuierlichen Veränderungen. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten und wird auch Vorteile bringen. „Wir sind die erste Generation, die sich damit befasst“, sagt Prof. Dr. Putz zuversichtlich.

Hier noch mein Bericht in der PNP, Oktober 2018:

PNP_Oktober_2018_Heimatkundekreis_Bad_Birnbach_Nadia_Baumgart

Und im Kurspatz von Bad Birnbach:

Kurspatz_Heimatkundekreis_Bad_Birnbach_Nadia_Baumgart